13. Repräsentativität - eine Berner Erfindung?

Der bedeutendste Ort für die Diskussion wissenschaftliche statistische Fragen stellte in der Wende des 19. zum 20 Jahrhunderts das International Statistical Institute (ISI). Hier tauchte auch das erste Mal der Begriff der Repräsentativität in einem statistischen Zusammenhang auf. In einer Berner Konferenz des ISI im Jahre 1895 präsentierte der Direktor des Norwegischen Zentralbüros für Statistik Anders Nicolai Kiaer ein Papier mit dem Titel Observations et expériences concernant des dénombrements représentatifs (Beobachtungen und Erfahrungen mit repräsentativen statistischen Untersuchungen).

Kiaer gab damit den ersten Versuchen im 19. Jahrhundert mit Stichproben, sie hiessen damals "indirekte Methode" oder "Teiluntersuchungen" einen neuen Namen. Doch waren Stichprobenverfahren wenig akzeptiert.

Die Suche nach dem Typischen wird durch die Idee der Miniaturgesellschaft ersetzt

Kiaer ersetzt im gewissen Sinne das Repräsentationsmodell des Typischen, das noch in der Idee des statistischen Durchschnittsmenschen zum Zuge kam, durch Miniaturmodell der Repräsentativität. Es sollten die interessierenden gesellschaftlichen sorgfältig eingeteilt werden (aufgrund von geographischen Kartenmaterial und dann selektive soziale Einheiten (Häuser) ausgewählt werden, diese dann aber sollen eine viel sorgfältigere Untersuchung erfahren, als es über jeglichen Zensus nur möglich wäre.

Beispielsweise sagt er: Die Forscher sollten nicht nur die durchschnittlichen Haushalte (maisons) erheben, sondern jene Haushalte (maisons), welche die unterschiedlichen sozialen und ökonomischen Verhältnisse repräsentieren. Doch diese Auswahl der Unteuschungsienheiten (Häuser, Familien, Individuen) erfolgte systematisch und noch nicht zufällig.

Die Zwei-Fässer-Logik

Kiaer begründet die Stichprobentheorie folgendermassen:

  • "Unter einer Repräsentativuntersuchung verstehe ich eine partikuläre Untersuchung aufgrund vieler Beobachtungseinheiten, die über ein Territorium zerstreut sind, um damit eine Miniatur des vollständigen Territoriums herzustellen. Die Beobachtungseinheiten werden nicht willkürlich, sondern nach einer rationalen Gruppierung ausgewählt, die auf Volkszählungsresultaten beruht, wobei die sich ergebenden Resultate wiederum mit der Volkszählung verglichen werden sollten."

An einem andern Ort sagt er:

  • "Man stelle sich zwei Fässer vor, ein sehr grosses und ein kleines, gefüllt mit gemischtem Inhalt. Zeigen nun mehrere Stichproben aus den beiden Fässern, in etwa ähnliche Verteilungen des gemischten Inhalts (also immer etwa ähnlich viele rote und blaue Stücke), so ist die Annahme zulässig, dass der Inhalt der beiden Fässern sich entspricht. Aber dies bedeutet auch: es genügt, das kleinere Fass zu untersuchen, um zu wissen, was im grösseren steckt."

Mit anderen Worten: die Idee des repräsentativen Samplings war ganz stark von einer räumlichen Gesellschaftsvorstellung geprägt und entstand ohne den Einbezug der Wahrscheinlichkeitsrechnung.

Erst in einem zweiten Schritt und als Fortsetzung von Kaiers Gedanken foderte der Statistker von Bortkiewicz, die Unterschiede zwischen den Verhältnissen in der Stichprobe und den Verhältnissen der Volkszählungen (beispielsweise über den Anteil der Geschlechter oder den Anteil der Arbeiter in der Stichprobe und der Grundgesamtheit) statistisch zu beurteilen.